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#farawaysoclose: Inkunabeln in Zeiten von Covid-19

In Zeiten der Coronakrise sind alle, Professoren, Studierende und Verwaltungsmitarbeiter, in eine neue Arbeitsweise hineingeworfen: Ursula Stampfer und die Inkunabeln.

Klosterbibliotheken und Archive – sie sind das natürliche Habitat von Forscherin Ursula Stampfer, die im Rahmen eines Dreijahresprojektes die ältesten Buchbestände Südtirols erforscht. „Es ist ja nicht so, dass jemand, der sich mit Inkunabeln und mittelalterlichen Handschriften beschäftigt, heute noch mit Feder und handgerührter Tinte auf Pergament oder Hadernpapier schreibt“, präzisiert Stampfer lachend. „Computer, Datenbanken und digitale Repertorien haben längst auch in diesem Bereich Eingang gefunden.“
Dank moderner Hilfsmittel können Texte leichter identifiziert und Autoren zugeschrieben werden und mögliche Parallelüberlieferung mit ein paar Klicks ausfindig gemacht werden. Auch die Erstellung von Digitalisaten ermöglicht es nicht nur einer interessierten Öffentlichkeit, sich bequem durch schöne Bilder zu klicken, sondern auch dem Kodikologen, Details besser zu erkennen. „Für viele ist der Kodikologe sicher ein eher unbekannter Beruf“, erklärt die Historikerin, „handelt es sich doch um Spezialisten, die mittelalterliche Handschriften erforschen. Diese sind stellenweise sehr eng beschrieben und mit vielen kleinen Randbemerkungen versehen.“ Und hier kommt den Fachleuten die Technik zugute, stellt eine Zoom-Option doch eine willkommene Erleichterung dar. 

Gibt es einen Vorteil, nunmehr zuhause arbeiten zu müssen? Da muss die 41-Jährige nicht lange überlegen: „Die Wohnzimmertemperatur im Gegensatz zu den bisweilen kalten Bibliotheksräumen  macht die Arbeit daheim viel angenehmer. Und dennoch: der gute Geruch der alten Bücher fehlt, ebenso das Haptische!“
Wer schon einmal eine originale Pergamenthandschrift aus dem Hochmittelalter in seinen Händen gehalten hat, weiß, wovon Ursula Stampfer spricht: Das Buch lebt und erzählt eine Geschichte: Wer hat es unter welchen Umständen geschrieben? Dabei lassen Anmerkungen am Ende der Texte den Wissenschaftler schon so manches Mal schmunzeln: „Melius scripsissem si bibere quid habuissem“ – Hätte ich was zum Trinken gehabt, hätte ich besser geschrieben, so zu lesen in einer Handschrift des einstigen Kollegiatstiftes Innichen). Dem Forscher stellen sich eine Reihe von Fragen: Wer hat diese Handschrift wohl im Laufe der Jahrhunderte schon in seinen Händen gehalten? An welchen Orten wurde sie aufbewahrt? 

Freut sich Stampfer auf die Zeit nach Corona, wenn sie wieder in die alten Bibliotheken zurückkehren kann? „Ja, sie fehlen mir, „meine“ Bücher, denn auch die besten Digitalisate können das direkte Erleben, den Besuch in den Bibliotheken nicht ersetzen.“ Im Rahmen ihrer Tätigkeit der Erfassung und Erschließung der wertvollsten Buchbestände in den diversen Bibliotheken Südtirols ist sie viel unterwegs, trifft viele unterschiedliche Menschen und vor allem zahlreiche Bücher: teils mit reicher Buchmalerei ausgestattet, teils sehr einfach gehalten und eindeutig als Gebrauchshandschriften zu identifizieren, teils in sehr gutem Zustand, teils mit Mäusefraß und vielen Stockflecken. „Wenn Verdacht auf Schimmel besteht, muss ich sie mit Handschuhen und Mundschutz anfassen; Einbände müssen bei Bedarf auch desinfiziert werden. Jedes einzelne Buch hat seinen Reiz und macht meine Arbeit unglaublich spannend und bereichernd“, sagt die Völserin. 

Aber nicht nur die Bücher fehlen ihr, auch die Menschen, die Bibliotheksverantwortlichen vor Ort, die immer wieder mal vorbeischauen und sich von Stampfers Begeisterung anstecken lassen, die ihr zwischendurch eine Tasse heißen Tee vorbeibringen oder zwischendurch anrufen und fragen, ob sie denn nicht kurz aus der kühlen Bibliothek oder dem für die Digitalisierung der Handschriften verdunkelten Raum in die Sonne hinausgehen möchte, sie hätten einen Kaffee vorbereitet. Und ihre Fachkollegen, mit denen sie sich bei regelmäßigen Treffen und Tagungen ausgetauscht hat – bis auf Weiteres sind freilich auch im Bereich des Historischen Buchgutes sämtliche Tagungen abgesagt.

Voriges Jahr hat Ursula Stampfer u. a. im Benediktinerkloster Marienberg und in der Bibliothek des Kapuzinerklosters Meran gearbeitet, ihr Fokus lag aber auf der Bibliothek des einstigen Kollegiatstiftes in Innichen. Insgesamt hat sie mehrere Wochen dort verbracht und sämtliche dort aufbewahrte Inkunabeln und mittelalterliche Handschriften erfasst, letztere auch digitalisiert. „Zuletzt war ich im Jänner dort, um den Erhaltungszustand einiger Handschriften zu kontrollieren, die im Herbst an einen neuen Aufbewahrungsort gebracht wurden; und Mitte März sollte ich eigentlich das nächste Mal in den äußersten Osten des Landes fahren, um den Zustand „meiner Patienten“ zu überprüfen, aber da saß ich dann schon daheim fest“, erzählt sie. „Derzeit nutze ich die Zeit, um die Daten in den Katalog der Unibibliothek einzupflegen oder Katalogisate dort mit Links anzureichern, die zu Digitalisaten führen, auf dass sich möglichst viele an diesen schönen alten Büchern erfreuen können. Dank der vielen bereits vorliegenden Fotos von Südtiroler Handschriften kann ich auch am Schreibtisch daheim die wissenschaftliche Erschließung derselben fortsetzen und mich via skype mit Kollegen austauschen. All das reicht aber nicht an die Arbeit am Original heran.“
(vic)