Skip to content

Studienführer

UniNews

#farawaysoclose: Nutztierwissenschaft am Albionser Küchentisch

Sein Terminkalender war seit seiner Jugend nicht mehr so leer. Matthias Gauly über den Alltag eines Nutztierwissenschaftlers außerhalb von Ställen sowie Hör- und Konferenzsälen.

Außerhalb der unibz kennt man ihn in Südtirol mittlerweile vor allem von Fotos in Ställen oder auf Almen. Seit März bekommt man den Professor für Nutztierwissenschaften und -management Matthias Gauly dagegen fast ausschließlich in der Küche seiner Südtiroler Wohnung in Albions bei Brixen zu Gesicht: Eine moderne Kuckucksuhr und Küchengeräte im Hintergrund, mal in sportlichem Trainer, mal in Bürokleidung, unterrichtet und prüft der gebürtige Deutsche seine Studierenden, nimmt an Fakultätsratssitzungen oder internationalen Konferenzen teil oder koordiniert und betreut ein Team von Postdocs und Doktorand*innen. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass Telearbeit so gut funktioniert“, meint Gauly. Vor allem in Teams, in denen man einander gut kennt, habe es erstaunlich wenig Nachteile, sich nur vor dem Bildschirm zu treffen. „Auch die Befürchtung, dass Menschen weniger arbeiten, wenn sie nicht im Büro kontrolliert werden können, kann nach dieser außergewöhnlichen Zeit wohl endgültig ad acta gelegt werden.“ Das beobachtet Matthias Gauly nicht nur innerhalb seines Teams, sondern auch bei sich selbst: „Ich habe das Gefühl, die Arbeit ist mehr als vorher –  auch weil es in der eigenen Küche oder dem eigenen Wohnzimmer kaum Pausen gibt, und die Leute schon fast voraussetzen, dass man ohnehin rund um die Uhr verfügbar ist.“

Gleichzeitig zeigt sich für den Agrarwissenschaftler in diesen Monaten, dass es auch in der nationalen und internationalen Zusammenarbeit nicht für jeden Austausch eine Konferenz braucht. „Natürlich macht der persönliche Kontakt und das gemeinsame Glas Wein oder Bier am Abend einen Unterschied. Doch man muss auch sagen, dass die Effizienz bei Sitzungen und Konferenzen im Online-Modus erheblich steigt -  nicht zuletzt, weil „Vielredner“ und „Selbstdarsteller“ weit weniger Bühne bekommen“, lacht er. Wenn allerdings von langer Hand vorbereitete Konferenzen platzen, wie etwa ein für August angesetztes Treffen von 1600 Tierwissenschaftler*innen in Porto, das Gauly als Präsident der europäischen Vereinigung für Tierwissenschaften maßgeblich mitorgansiert hatte, schmerze es dennoch. „Wir werden auch hier versuchen, zumindest einiges über ein Webinar zu retten, doch in solchen Fällen gilt es dann auch, finanzielle Verluste auszugleichen.“     
   
Besonders einschneidend ist für den Professor aber der komplette Wegfall der Labor- und Feldarbeit – ob in der Forschung oder auch in Form von Exkursionen mit seinen Studierenden. „Mit Beginn der Reisefreiheit ab 3. Juni hoffe ich, dass es zumindest in der Forschung wieder langsam losgehen kann“, sagt er. Immerhin war er seit Mitte März auf keinem Hof mehr. „Wir haben im Interesse aller ziemlich schnell alle Aktivitäten auf Eis gelegt – und hoffen nun nur, dass auch die Mittelgeber unserer Projekte auf diese besonderen Umstände Rücksicht nehmen.“ Denn viele Deadlines sind auch an die Bezahlung des Projektteams gekoppelt. Wird die Abgabefrist verschoben, riskiert man für die verlängerte Zeitspanne die Gehälter der Forscher*innen nicht mehr bezahlen zu können. 

Eines der Projekte, das wegen Covid-19 aktuell auf Eis liegt, ist ein großes gemeinsames Projekt zum Thema Tierwohl, das die Freie Universität Bozen zu Jahresbeginn mit dem Südtiroler Sennereiverband gestartet hat. In diesen Monaten sollten die heimischen Viehbauern in Workshops und Kursen konkrete Indikatoren und Werkzeuge in die Hand bekommen, um die „Lebensqualität“ und somit auch die Gesundheit ihrer Tiere gezielt verbessern zu können. „In diesem Projekt steckt wahnsinnig viel Überzeugungsarbeit und Vorbereitung drinnen, und natürlich gibt es nun auch die Befürchtung, dass ein Thema wie Tierwohl in einer schweren Krise wieder ins Hintertreffen geraten könnte“, meint der Nutztierexperte. Wie auch in so vielen anderen Bereichen könnte Covid-19 aber gleichzeitig eine Chance sein, das Thema regionale Kreisläufe endlich ernsthaft anzugehen. „Vor allem im Gastgewerbe“, sagt Gauly. „Denn trotz der monateweisen Schließung von Hotels und Gastronomie ist der landwirtschaftliche Absatz in diesem Bereich bisher erstaunlicherweise nicht eingebrochen“, so Gauly. Ob sich darin zeigt, dass heimische Produkte dort bislang weit weniger stark vertreten waren, als allgemein beteuert wurde, müsse noch aufgearbeitet werden. „Sicher ist, dass die Krise auch ein Anlass sein könnte, sich gemeinsam hinzusetzen, um zu versuchen, die Zusammenarbeit besser zu gestalten“, findet der Agrarwissenschaftler. 

Die Krise als Bedrohung und Einschränkung, die Krise als Reflexionsmöglichkeit, die uns erlaubt vieles anders und besser zu machen. Eine Ambivalenz, die auch Matthias Gauly stark erlebt, in seinen Albionser Monaten. Sozial war in diesen Wochen sehr isoliert, von seiner Familie in Deutschland noch nie über einen so langen Zeitraum getrennt. „Wir haben nun eben einen sehr intensiven Skype-Kontakt und sind auch einiges gewohnt, weil ich, bevor ich vor fünf Jahren nach Südtirol kam, 12 Jahre lange zwischen Gießen und Göttingen pendelte.“ Jeder dieser Entbehrung stehen aber auch positive Entwicklungen gegenüber – wie beispielsweise das Vogelgezwitscher, das nun wochenlang den Autolärm von der A22 vor seinen Fenstern ersetzte. „Auch auf der Grödner Straße, wo man sonst Kopf und Kragen riskiert, kann man nun herrlich mit dem Rad fahren“, erzählt der Professor.

Schmerzlich ab geht ihm dagegen der direkte Kontakt mit seinen Studierenden. „Ich bin jemanden, der in der Lehre auf eine sehr starke Interaktion setze, und habe über die Jahre gelernt, schnell mitzubekommen, wenn jemand gedanklich gerade ganz woanders ist.“ Das wird nun weit schwieriger, wenn er „alleine in seinen PC hineinreferiert“, wie es Gauly beschreibt. Zum Glück habe er in diesem Jahr im Master-Studiengang „Environmental Management of Mountain Areas“ einen relativ kleinen Kurs mit „super Leuten“, die der Professor mangels Augenkontakt in den Vorlesungen einfach immer wieder persönlich anspricht. Gleichzeitig habe ihm in der aktuellen Prüfungssession gerade erst ein Pustertaler Student erzählt, wie viel mehr Zeit er nun habe, seit er nicht mehr für jede zweistündige Vorlesung drei Stunden Fahrzeit nach Bozen in Kauf nehmen müsse. „Solche Rückmeldungen sollten wir für die Zeit nach dieser Krise nicht vergessen“, findet Matthias Gauly, „und den positiven Teil von all dem mitnehmen, das wir in dieser Zeit erfahren und dazugelernt haben.“  

(su)