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#farawaysoclose: Brüsseler Korridore im Online-Modus

Seit Mitte Jänner vertritt Francesca Ricardi die Interessen der unibz in Brüssel. Wie Covid-19 sie dabei beeinträchtigte, aber auch neue Chancen eröffnete.

Als wirkliche Lobbyistin würde sie sich selbst nicht bezeichnen – selbst wenn sich die Arbeit von Francesca Ricardi zumindest teilweise mit jener von geschätzten 25.000 Menschen überschneidet, die in Europas Hauptstadt versuchen, im Interesse von Unternehmen und Verbänden Einfluss auf die EU-Institutionen zu nehmen. „Ich sehe mich vielmehr als Bindeglied und Beraterin, die der Freien Universität Bozen und anderen Südtiroler Institutionen hilft, bei europäischen Initiativen und Entwicklungen im Bereich Forschung und Innovation am Ball zu bleiben und mitzumischen“, sagt die aus Friaul stammende Wahl-Brüsselerin. 

Seit 12 Jahren lebt und arbeitet sie in der Hauptstadt Europas. Eine Zeit, wie jene der vergangenen drei Monate hat sie dort allerdings noch nie erlebt. Obwohl der Lockdown rund zwei Wochen später verhängt wurde als in Italien, stand auch in Brüssel für viele Wochen das gesamte öffentliche Leben still. Neben Restaurants und Bars, Theatern oder Schulen, die mit Ausnahme der Kleinkindbetreuung nur eine Notbetreuung anboten, hieß dies vor allem einen gewaltigen Apparat herunterzufahren. Oder besser umzusiedeln. Ob Kommission oder EU-Parlament – zehntausende Menschen, die sonst tagsüber das Brüsseler Europaviertel beleben, blieben im Homeoffice. „Die meisten sind es noch immer, obwohl die EU-Kommission seit 25. Mai nun langsam wieder die Büros öffnet“, erzählt Francesca Ricardi. Auch wenn sie von ihrer eigenen Brüsseler Wohnung aus am Bildschirm die Arbeiten in den verschiedenen Kommissionen des EU-Parlaments verfolgt, sieht die Beraterin meist nur eine Handvoll Abgeordnete im Parlamentsgebäude selbst – „die Mehrheit ist immer noch über Internet zugeschaltet“. 

Typisch für Brüssel und ganz Belgien war die Vielzahl an Regeln, mit denen auf das Virus reagiert wurde. Nicht nur Flamen, Wallonen und die deutschsprachige Minderheit des Landes erließen unterschiedlich strenge Einschränkungen; dasselbe gilt bis heute in den 19 Gemeinden der Region Brüssel-Hauptstadt. „In meiner Gemeinde beispielsweise gibt es eine generelle Maskenpflicht, in anderen Teilen der Stadt muss man sie nur in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Geschäften aufsetzen“, erzählt Ricardi. Ihre italienische Herkunft wurde ihr in den vergangenen Monaten aber noch einmal stärker bewusst als sonst. „Man hat wirklich gespürt, dass wir Italiener mehr Angst vor dem Virus hatten als die Belgier und andere Ausländer. Zwar gab es auch hier keineswegs wenige Todesfälle. Doch die Situation war nicht mit jener in den am stärksten betroffenen italienischen Regionen zu vergleichen, die wir durch den ständigen Kontakt mit Familie und Freunden viel präsenter hatten.“ 

Die Tatsache, dass Francescas Arbeitstage in dieser Ausnahmeperiode eher länger als kürzer wurden zeigt, dass Covid-19 die Brüsseler Aktivitäten trotz Lockdown und Homeoffice eher intensivierte als zum Erliegen brachte. „Zu den bereits geplanten Agenden kamen nun andere Programme dazu, die sich den Auswirkungen der Coronakrise widmen“, erklärt Ricardi. So veröffentlicht die Kommission derzeit laufend Ausschreibungen für Projekte, mit denen Lösungen zur Bewältigung der aktuellen Krise gefunden werden sollen - von der Medizin über Wirtschaft und Bildung bis hin zum Sozialen. Francesca Ricardi informiert ihre Ansprechpartner in Bozen nicht nur über solche Möglichkeiten, sondern bringt sie auch mit potenziellen Projektpartnern zusammen. So geschehen beispielsweise vor zwei Wochen, als das Netzwerk UNILiON – ein informeller Zusammenschluss von Brüsseler Vertretungen von europäischen Top-Universitäten – bei einem Brokerage Event Forscher*innen von verschiedensten Universitäten zusammenbrachte, um gemeinsam an Projekten für einen aktuellen Call zu arbeiten. „Mit dabei waren auch fünf Professor*innen der unibz, und in der vergangenen Woche wurde dann tatsächlich ein Projekt für diesen Call eingereicht“, so Ricardi. Obwohl sie sich aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung sicher durch den Brüsseler Dschungel mit seinen eigenen Gesetzen bewegt, hat Covid-19 einiges durcheinandergebracht. „In Brüssel ist das Networking absolut essentiell, um immer am Ball zu bleiben und Informationen auszutauschen“, erzählt sie. Dies wurde zwar teilweise auch in den vielen Videokonferenzen getan, mit denen ihr Kalender seit März gespickt ist. Doch persönliche Begegnungen oder auch informelle Gespräche bei einem Café oder gemeinsamen Glas mit den vielen Kontakten, die sie über die Jahre aufgebaut hat, würden dann doch mehr Ergebnisse bringen. 

In dieser Hinsicht hat die Coronakrise auch den Start ihres neuen Jobs getrübt. Erst Mitte Jänner hatte Francesca Ricardi die Aufgabe übernommen, die Freie Universität Bozen, die Abteilung 34 der Provinz Bozen sowie die Laimburg in Brüssel zu vertreten, um Südtirols Bemühungen im Bereich Forschung und Innovation noch stärker mit Europa zu verknüpfen.  Ihren Antrittsbesuch konnte sie noch absolvieren; der nächste geplante Südtirol-Aufenthalt Ende März fiel dagegen wie so vieles dem Virus zum Opfer.  „Doch glücklicherweise funktioniert die Zusammenarbeit und das gegenseitige Kennenlernen mit den Professor*innen der unibz auch per Internet sehr gut“, unterstreicht Ricardi. In dieser ersten Phase geht es ihr einmal darum, die Prioritäten aller Ansprechpartner zu verstehen, um sie dann auch gezielt mit Informationen versorgen zu können. „Wir befinden uns in Europa gerade in einer sehr spannenden Phase, da die aktuelle siebenjährige Förderperiode ausläuft, und jetzt sehr aufmerksam zu verfolgen ist, wie es weitergeht.“ Den Draht zu den Institutionen knüpft dabei Francesca Ricardi. „Doch meine Arbeit hängt sehr stark von den Beziehungen mit meinen Ansprechpartner*innen ab, sie kann nur funktionieren, wenn es eine enge Zusammenarbeit und ich auch aus Bozen so viele Informationen wie möglich erhalte“, so Francesca. Umso mehr freut es sie, wenn nun jede Woche weitere Beschränkungen aufgehoben werden – und vielleicht auch bald wieder ein Südtirol-Besuch möglich wird. 

(su)